Auerswald COMfortel 3500 im Test
Telefone haben in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht. Vom Drehscheibentelefon mit Pulswahl und fest in der Wand verbautem Anschluss über ISDN-Firmenanschlüsse, Tastentelefone mit flotter Tonwahl und die ersten mehr-oder-weniger mobilen Geräte bis hin zu Smartphones mit der Rechenleistung eines gerade erst komplett steuerlich abgeschriebenen PCs und Firmentelefonanlagen mit Voice over IP reicht die Entwicklung. Und das in gerade einmal knapp 30 Jahren.
Zumindest im Bereich der Firmentelefonie will nun das Unternehmens Auerswald eine weitere Stufe der Entwicklung besteigen, erster Vertreter ist das COMfortel3500. Bei diesem Gerät handelt es sich um ein SIP-fähiges Tischtelefon mit einer umfassenden Ausstattung, der bewährten Zifferntastatur und als Besonderheit einem Touchscreen. Dieser wird genutzt um das als Unterbau installierte Android-Betriebssystem zu bedienen und bietet eine für Tischtelefone eher ungewohnte aber durchaus praktische Bedienstrategie.
Dank des 5 Zoll großen Farbdisplays kann nicht nur die Konfiguration des Telefons bequem vorgenommen werden, es lassen sich auch Android-Apps installieren um den Funktionsumfang des COMfortel3500 zu erweitern. Selbst wenn gerade keine Apps genutzt werden, ist das Display nicht unpraktisch, zeigt es doch die Uhrzeit, verpasste Anrufe und auf Wunsch frei wählbare Widgets beispielsweise für den Terminkalender an. Freiberufler und andere im Home-Office tätige Personen dürften sich daher durchaus über die elektronische Privatsekretärin freuen.
Technische Daten des COMfortel3500
Das COMfortel3500 kommt als massives und durchaus voluminöses Tischtelefon mit dominierendem Touchdisplay daher. Vor der ersten Inbetriebnahme werden die flexibel montierbaren rückwärtigen Standfüße angebracht. Je nach Belieben steht das Telefon anschließend eher flach oder in einem höheren Aufstellwinkel.
Der Telefonhörer wird an der Unterseite des Telefons eingesteckt, ebenfalls das beiliegende Netzteil. Auf dieses kann verzichtet werden, wenn die Netzwerkanlage an die das Telefon angeschlossen wird PoE unterstützt, also Strom über das Netzwerkkabel überträgt. Ein weiterer RJ45-Stecker verbleibt für das Netzwerkkabel. Das COMfortel3500 ist Gigabit-LAN-fähig, kann aber auch problemlos mit nur 100 Mbit-Netzwerken betrieben werden. Etwas fummelig verbaut sind die beiden USB-Anschlüsse, von denen zudem nur noch ein Port für eigene Erweiterungen frei ist. Im zweiten USB 2.0 Port steckt ein Bluetooth-Adapter, mit dem das Telefon mit Headsets und Smartphones Kontakt aufnehmen kann. Headsets werden aber nicht nur via Bluetooth unterstützt, Auerswald bietet auch DECT-Headsets mit höherer Reichweite und ohne die leider recht frickelige Bluetooth-Einrichtung an – freilich zu deutlich höheren Preisen.
Der USB-Port ist nicht unpraktisch, lassen sich doch via USB-Stick komplette Konfigurationsdateien sichern und aufspielen. Soll die erste Konfiguration des COMfortel3500 direkt am Telefon und nicht per Webinterface vorgenommen werden – was ratsam ist, da das Webformular nicht alle Features unterstützt – rät es sich, kurzzeitig eine USB-Tastatur an den USB-Port zu stecken um Zugangsdaten und Passwörter schneller und zuverlässiger eingeben zu können.
Erst wenn der USB-Port wieder frei ist, lässt sich der SD-Kartenslot des Telefons nutzen. Hier finden erfreulicherweise vollwertige SD-Karten platz, nicht nur die bei Smartphones und Tablets üblichen Micro-SD-Karten. Eine Karte mit 2 Gigabyte Kapazität liegt dem Telefon bereits bei. Diese ist zur Installation von Apps auch dringend anzuraten, der interne freie Speicher beträgt keine 200 Megabyte und verhindert so leider auch die Installation einiger Android-Apps, die bei der Erstinstallation von SD-Karten keinen Gebrauch machen.
Apropos Android-Apps: Google verweigert dem COMfortel3500 trotz Antragstellung des Herstellers Auerswald bislang die Zertifizierung, so dass viele Google-Apps nicht genutzt werden können. Unpraktisch: Dazu gehört auch der Play-Store mit seinen zigtausend einfach zu installierenden Apps. Die von Auerswald vorinstallierte Alternative AndroidPit bietet nur einen Bruchteil der im Playstore verfügbare Anwendungen und ist zudem deutlich unkomfortabler zu benutzen. Für einige Anwendungen bleibt so nur der Weg über das Internet: Apps lassen sich im Internet herunterladen und als APK-Datei auf einem USB-Stick speichern. Auf diesen kann dann mittels Datenexplorer-App zugegriffen werden. Allerdings muss für die Installation weiterer Anwendungen ein für Android nicht unwichtiges Sicherheits-Feature geaktiviert werden: Es muss die Installation von Anwendungen aus unsicheren Quellen erlaubt werden. Diesen Weg gehen allerdings zahlreiche Schadprogramme, die sich so auf dem Telefon einnisten könnten wenn bei der Installation nicht auf seriöse Anwendungen geachtet wird.
Telefonie mit dem COMfortel3500
Seinen primären Einsatzzweck erfüllt das Telefon glücklicherweise besser als es die Android-Implementation vermuten lässt. Als SIP-Telefon arbeitet es mit allen aktuell relevanten Providern zusammen – von SIPgate über bluesip bis hin zu Skypes Business-Dienst und lässt sich dank vieler vorgegebener Profile einfach einrichten.
Auch zu TK-Anlagen, wahlweise direkt von Auerswald aber auch von anderen Herstellern bis hin zur AVM Fritz!Box und Asterisk-Servern nimmt das COMfortel3500 bequem Kontakt auf. Das Telefon lässt sich sowohl als SIP-Telefon sowie als IP-Systemtelefon nutzen – auf Wunsch auch gleichzeitig. Damit eignet es sich für eine recht große Nutzergruppe vom großen Unternehmen bis zum Freiberufler im Homeoffice. Da bis zu 100 verschiedene SIP-Accounts genutzt werden können, ist das COMfortel3500 auch für umtriebige Nutzer ausreichend – auch wenn sich die 100 Accounts auf 10 Anbieter mit je maximal 10 Accounts verteilen.
Eine von Auerswald angebotene App namens PBX Control nimmt auf Wunsch Kontakt zu vorhandenen TK-Anlagen des Herstellers auf und bietet so die Möglichkeit das Telefonbuch zu übertragen und eine Systemfunktionen zu nutzen. Auf dem Startbildschirm der Android-Oberfläche finden sich 6 konfigurierbare Buttons, auf die sich unter anderem Schnellzugriffe auf SIP-Anbieter, Telefonbucher, Apps oder Telefonnummern verteilen lassen. Auch der seit dem neuesten Firmwareupdate implementierte Anrufbeantworter lässt sich so über das Touchdisplay aufrufen.
Wer seine VoIP-Telefonie via Skype vornimmt, kommt mit dem COMfortel3500 nur bedingt auf seine Kosten. Das große Display würde sich perfekt für Videotelefonie eignen – nur fehlt dem Telefon die dafür nötige Kamera über dem Display. Eingehende Videos lassen sich aber empfangen, wenngleich im Test auch eher pixelig und ruckelnd. Normale Telefonie per Skype funktioniert aber und auch die IM-Funktionen des Dienstes sind problemlos nutzbar. Für kurze Nachrichten reicht es dann auch, längere Texte mag allerdings wohl niemand auf der Bildschirmtastatur verfassen, so dass ein ausufernder Chat besser auf andere Endgeräte verlegt werden sollte.
Für den Einsatz im Unternehmen ist die integrierte Verschlüsselung von Zeichen- und Sprachdaten (SIPS und SRTP) sehr vorteilhaft, im Gegensatz zu schlechter ausgestatteten Telefonen umgeht das Unternehmen so das Risiko über das Netzwerk belauscht zu werden. VPN-Funktionen hingegen sind erst für das kommende Update versprochen und daher noch nicht implementiert. Bis dahin muss der vorgeschaltete Router VPN beherrschen.
Schnellwahlen lassen sich auf die 15 Funktionstasten an der Seite des Telefons legen, die Weboberfläche bietet auch die Möglichkeit, entsprechende Beschriftungen auszudrucken – praktisch! Auerswald bietet zudem Beistellmodule mit zusätzlichen Funktionstasten an, welche das Telefon zwar massiv in die Breite wachsen lassen, den Komfort aber unter Umständen erhöhen können.
Die Sprachqualität des COMfortel3500 ist über den Telefonhörer erstklassig, was auch der Verwendung von hochwertigen VoIP-Codecs liegt.
Touchscreen und Android
Die Besonderheit des COMfortel3500 gegenüber herkömmlichen VoIP-Telefonen ist neben der Fähigkeit, gleichzeitig als Systemtelefon und als SIP-Telefon zu agieren der Android-Unterbau mitsamt 5 Zoll großem Touchdisplay zur Bedienung der erweiterten Funktionen. Auerswald setzt auf die ältere Android-Version 2.3.4, ein Update auf das neuere Ice Cream Sandwich oder gar Jelly Bean ist bislang nicht vorgesehen. Wie von einem VoIP-Standtelefon nicht anders zu erwarten glänzt das Gerät nicht unbedingt mit sensationellen Prozessordaten und Speicherkapazitäten. Einige hundert Megabyte freier interner Speicher, ein schmaler Hauptspeicher und keine rekordverdächtigen Prozessorleistungen sprechen eine eindeutige Sprache. Allerdings kommt es darauf an, wie sich das Gerät bedienen lässt, nicht ob Technik-Fans die neueste CPU-Generation verbaut vorfinden – und in diesem Punkt schlägt sich das COMfortel3500 recht wacker. Ein wenig mehr Leistung hätte dem Telefon zwar gut getan, es dauert mitunter schon eine Weile bis eine Anwendung reagiert, der Start von Apps fordert etwas Geduld und zu viele gleichzeitig geöffnete Programme sollten dem Telefon ebenfalls nicht zugemutet werden, dennoch geht die Bedienung nicht schlechter vonstatten als bei vielen anderen VoIP-Telefonen.
Schwerer wiegen schon eher die kleinen Zicken im Alltag. So ist Android vieles aber kein 100% intuitiv bedienbares Betriebssystem. Zwar hat Auerswald die elementaren Funktionen zur Einrichtung der VoIP-Funktionen sinnvoll vorkonfiguriert, so dass nur noch wenige Informationen eingegeben werden müssen. Dennoch verlangt Android ein wenig Feintuning im Einstellungs-Menü. In der über dem eigentlichen Displayinhalt eingeblendeten Übersichtsleiste sammeln sich zudem schnell zahlreiche um Aufmerksamkeit heischende Symbole, beispielsweise für Skype-Unterhaltungen, die auf anderen Geräten geführt wurden – verwirrend und ablenkend.
Die Einrichtung von Bluetooth-Headsets ist je nach genutzten Headset nicht unbedingt problemfrei, einige Geräte werden nicht oder nur sporadisch erkannt. Praktisch hingegen, sollte Bluetooth dann final konfiguriert sein, ist die automatische Annäherungskontrolle. Erkennt das COMfortel3500, dass sich das per Bluetooth verbundene Smartphone aus der Reichweite des VoIP-Telefons entfernt, werden eingehende Anrufe auf Wunsch automatisch umgeleitet.
Mitunter fielen im Test Abstürze von Apps auf. Vor allem der vorinstallierte Appstore glänzt nicht unbedingt durch Geschwindigkeit, sinnvolle Benutzerführung und Stabilität. Zudem sollte der Anwender aufpassen, welche Apps installiert werden, es findet durch den Storebetreiber offenbar keinerlei Auswahl bei den eingestellten Apps statt. So finden sich zahlreiche potentiell schädliche Programme, die im besten Fall nur unmengen an Werbung auf dem Telefon installieren, im schlimmsten Falle aber Kontrolle über das Betriebssystem erlangen können. Dazu kommt, dass für den Betrieb der alternativen Appstores, Googles Playstore ist mangels Zertifizierung durch Google nicht verfügbar, die Option „Unbekannte Herkunft, Installationen von Nicht-Market-Anwendungen zulassen“ aktiviert sein muss. Sollen vorerst keine neuen Apps installiert werden, ist es daher dringend ratsam, diese Option wieder zu deaktivieren um Schädlingen weniger Angriffsfläche zu bieten.
Ebenfalls negativ fiel auf, dass das COMfortel3500 vereinzelt die Netzwerkverbindung verlor – nach einem Neustart war das Telefon zwar wieder ansprechbar, ärgerlich ist es angesichts der gehobenen Preisklasse aber auf jeden Fall. Auch der Provider SIPgate glänzte nicht gerade durch Zuverlässigkeit. Bei Skype wurden Warnmeldungen für verpasste Nachrichten teilweise noch lange nach dem Ansehen der Nachricht angezeigt, was sich in einem roten Warnsymbol äußerte.
Das Touchdisplay gehört zur etwas weniger sensiblen Sorte, teilweise müssen Icons schon recht beherzt gedrückt werden, damit das Telefon die Eingabe erkennt. Angesichts der ab und an abstürzenden Apps und des nicht immer 100% zuverlässigen Android 2.3.4 wäre zudem ein Resetknopf eine sinnvolle Erweiterung für das Telefon. Auch eine Kamera für Videotelefonate wäre praktisch. Unschön: Die Option „Telefon herunterfahren“ fährt das Telefon tatsächlich herunter, es fehlt anschließend aber ein Button, um es wieder hochfahren zu können ohne vorher den Strom trennen zu müssen.
Relativ unbrauchbar war im Test auch die Freisprechfunktion. Sobald der Nutzer nicht direkt in das Mikrofon des COMfortel hineinspricht, ist seine Stimme für den Telefonpartner nur sehr schwer und mit einigem Hall zu verstehen. Der Griff zum Telefonhörer bleibt also mehr oder weniger verpflichtend, zumal auch die Sprachqualität via Bluetooth bestenfalls durchschnittlich ist.
Android bietet aber ungeachtet aller Nachteile auch zahlreiche Vorteile. Zwar sind vorinstallierte Apps wie der Ratgeber zum Thema „Krawatten binden“ bestenfalls eine sympatische Spielerei, andere Anwendungen wie der Terminkalender, Weltzeituhren, Browser, Mailclient mitsamt Exchange-Support und der intelligente Anrufbeantworter sind allerdings sehr praktisch. Das COMfortel3500 kann, geschickt konfiguriert, tatsächlich viel Arbeit sparen und sinnvollen Mehrwert leisten. Zudem ist es möglich, für das eigene Unternehmen maßgeschneiderte Apps für das Telefon entwickeln zu lassen – ein Vorteil, den sonst kaum ein Telefon bieten kann. Eine Verknüpfung mit der Warenwirtschaft ist hier genauso denkbar wie Tools zum Mindmapping und zur Verknüpfung mit Mitarbeitern aus der ganzen Welt. Zwar ersetzt das Telefon kein Notebook und auch kein Tablet, es bietet aber einen schnellen Überblick und kann viele Informationen mit der eh benötigten Telefonie verknüpfen. Wenn also beim Anruf eines Kunden gleich sein Kundenprofil aus der eigenen Datenbank im großzügigen Display geöffnet werden soll – kein Problem, eine solche App lässt sich entwickeln. Die Möglichkeiten sind mit etwas Fantasie durchaus umfangreich.
Nur durchschnittlich technisch begabte Nutzer sollten allerdings für die Konfiguration des Telefons einen Fachmann zur Rate ziehen. Dieser kann dann auch die sinnvollen Schutzmechanismen aktivieren und so einige der bekannten Sicherheitslücken schließen. Hinstellen, anschließen, fertig, ist angesichts der vielfältigen Möglichkeiten des COMfortel kein funktionierender Ansatz. Wer sich ein solches Telefon zulegt, sollte allerdings damit rechnen, vor der ersten Nutzung umfangreiche Konfigurationsarbeiten vornehmen zu müssen. Im Anschluss winkt allerdings ein spürbarer Mehrwert mit kleinen Schönheitsfehlern bei den Punkten Stabilität, Appstore und Bedienkomfort. Als Vorreiter einer neuen Generation von flexibel nutzbaren Festnetztelefonen ist das COMfortel3500 schon sehr ansehnlich, 100% ausgereift ist das Konzept aber noch nicht. Wer nur ungern mit den Nachteilen solcher technologischen Pioniergeräte konfrontiert wird, sollte eventuell noch ein oder zwei Generationen warten. Technisch interessierte mit Bedarf an einem sehr hochwertigen und umfangreich ausgestatteten Telefon dürfen aber gerne zuschlagen.